Kranichpost

Inspiration Kranich

Eine Bürgerinitiative aus dem Sternberger Land östlich von Schwerin verschickt regelmäßig die Kranichpost. Wir haben uns in den Verteiler eintragen lassen, weil die Informationen und Betrachtungen der Verfasser Einblick in die Erfahrungen anderer Betroffener geben und gleichzeitig Inspiration für uns sind, uns weiterhin für unsere Natur und die mit ihr verbundenen Menschen einzusetzen.

Inzwischen sind neun Ausgaben erschienen. Die Kranichpost Nr. 8 haben wir als Leseprobe auf dieser Seite veröffentlicht. 

Die gesamten Ausgaben findet Ihr über den folgenden Button und könnt dort die einzelnen Nummern als PDF öffnen und herunterladen. So ist auch das Ausdrucken und Weitergeben in jeder Form kein Problem. Die Kraniche aus dem Sternberger Land freuen sich darüber.

Kranichpost Nr. 8

Moin!
Es geht um Hektar, Kilowatt und Euro.
Es geht nicht um Landschaft, Pflanzen, Tiere, Menschen.
Der Ausverkauf läuft.
Sprechen Sie doch mal mit Ihren Gemeindevertretern!

Ihre Kraniche


Eine gemordete Landschaft – ein Auftragsmord!


Der Mensch gibt der Landschaft einen wichtigen Aspekt ihrer Identität.
Die Landschaft findet ihre Entsprechung im Selbsterleben der Menschen.
Beide wachsen zusammen und bedingen sich gegenseitig - die Umgebung
findet ihren Widerhall im Inneren der Bewohner. Der Lebensraum ist
identitätsstiftend.
Der Charakter von Landschaften ist im Laufe von Jahrmillionen
entstanden. Die Menschen, die im Naturpark Sternberger Seenland
wohnen, sind mit der Region seit Generationen verbunden oder sind ganz
bewusst hergezogen, weil sie das hiesige Landschaftsbild und seine Natur
schätzen. Sie leben gerne hier und genießen die Ruhe fernab der Städte
und Industriezentren.

Sozialpsychologische Untersuchungen bestätigen, dass Zugehörigkeit und
Bindung, wie sie von den Bewohnern erlebt und gelebt werden, die
wesentlichsten Bedingungen für psychisches Wohlbefinden sind. Sie geben
Schutz, Hilfe, Sicherheit und vermitteln Beständigkeit. Im vertrauensvollen
Miteinander entwickelt sich Gemeinsamkeit, Konstanz und Ruhe.

Aber nicht nur die gewachsenen sozialen Strukturen geben das Gefühl von
Zugehörigkeit, sondern auch die vertraute, umgebende Landschaft mit
ihrer einmaligen Identität. Die unverwechselbaren Formen, Farben,
Geräusche und Gerüche, die spezifische Tierwelt und die dynamische
Abwechslung im Werden und Vergehen geben dem inneren Erleben einen
verlässlichen Rahmen und bieten einen unvergleichlichen
Naherholungswert.

Neurobiologische Forschungsergebnisse belegen, dass Monotonie zu
geistiger Verflachung führt. Die Hirnfunktionen verkümmern, denn das
Gehirn ist beständig auf der Suche nach neuer Nahrung, neuen Anreizen.
Eine dynamische Umgebung fördert die innere Dynamik. Und äußere
Monotonie, z.B. im Blick auf tote, schwarze Solarfelder, setzt sich im
Innenleben fort.

Der international renommierte Sozialwissenschaftler Alexander
Mitscherlich, der in den 1960er-Jahren zu den führenden Intellektuellen in
Deutschland gehörte, formulierte es in Zusammenhang mit der
uniformierten Monotonie der Wohnblocks: „Der Mensch wird so, wie die
Stadt ihn macht, und umgekehrt.“ Diese Erkenntnis lässt sich
uneingeschränkt auf landschaftliche Verhältnisse übertragen. Denn die
Umgebung prägt das Selbsterleben! Die Lebensumstände und das
Lebensumfeld bestimmen das Zusammenspiel von Denken und Fühlen.

Kein Bewohner des Naturparks Sternberger Seenland mag in Betonwüsten
leben, inmitten von Gebäuden, die nachts nicht erleuchtet sind, weil sie
nicht belebt sind. Und keiner mag in einer verschandelten Landschaft
leben, umzingelt von Solarwüsten, eingekesselt von einer schwarzen Masse, einem schier endlos erscheinenden Areal lebloser, artifizieller,
technischer Strukturen.

Die geplanten massiven Eingriffe in die Landschaft sind keine vorsichtigen
und angemessenen Maßnahmen, die dem inneren Tempo der Bewohner
entsprechen. Plötzlich ändern Projektierer und Investoren den Charakter
der Landschaft nach Gewinnaussichten. Es sind nicht mehr diejenigen, die
dort leben, die bestimmen, wie es in ihrer Region aussehen soll, sondern
diejenigen, die in dieser Region Profite generieren wollen.

Es ist also nicht mehr der Wert der Landschaft als lebendiger Lebensraum,
sondern nur noch eine auf Fläche und Lage reduzierte Basis für Gewinne.
Plötzlich steht nicht mehr die gewachsene Natur im Vordergrund, sondern
die großen Flächen sind der Vernutzung und kommerziellen Ausbeutung
überlassen.

Essere est respici – Sein ist Gesehen-Werden. So lautet eine
philosophische Sentenz des Mittelalters. Dadurch, dass ich gesehen, von
anderen wahrgenommen werde, dadurch kann ich mich lebendig fühlen.
Menschen brauchen lebenslang das Gefühl, dass sie bemerkt werden, dass
wahrgenommen wird, dass es sie gibt.

Die aktuelle Entwicklung der geplanten Gigaprojekte ist aber eher vom
Gegenteil gekennzeichnet: die meisten Bewohner fühlen sich mit ihren
Fragen und Sorgen nicht ernst bzw. gar nicht wahrgenommen. Dabei sind
sie durchaus bereit ihren Beitrag zur Energiewende zu leisten - auch
deutlich über die regional benötigten Energiemengen hinaus, obwohl
schon durch die vielen Windenergieanlagen in der Nähe bedrängt.

Es besteht auch Verständnis dafür, dass dies nicht ohne Einschränkungen
in den persönlichen Lebensbereichen gehen kann. Aber die jetzt geplanten
Photovoltaik-Freiflächen bedeuten einen nicht mehr vertretbaren
Einschnitt in die vertraute Natur, in den Charakter der Landschaft.

Wenn ein Naturpark, der ein schützenswertes Allgemeingut ist, von einem
Erholungsgebiet partiell zu einer Industrieanlage verändert wird, dann wird
die Bereitschaft der Bewohner zur Teilhabe und Mitgestaltung der
Energiewende torpediert und das kulturhistorische Kontinuum der
Landschaft nachhaltig verletzt – und damit auch das Selbsterleben der
Bewohner.

Filmtipp

Der einzige DDR-Film zum Thema Umweltschutz, gedreht im Frühjahr
und Sommer 1989: „Biologie!“ Nach dem Buch „Wasseramsel“ von Wolf
Spillner. Aktuell in der MDR-Mediathek verfügbar.

Des Kranichs Abgesang

Ludwig Thomas Geschichte „Der Münchner im Himmel“ endet mit einem
bemerkenswerten Satz: „...und so wartet die bayerische Regierung bis
heute auf die göttlichen Eingebungen.“
Für diese 12 Worte musste Thoma damals eine Geldstrafe zahlen.


Wie glücklich können wir uns also heute schätzen, dass wir unsere
Meinung frei äußern dürfen - und unsere Unzufriedenheit mit der
aktuellen Politik.
So beenden wir die heutige Kranichpost mit der Frage, woran denn die
Bewohner des Naturparks erkennen können, dass die Investoren,
Projektierer und Gemeindevertreter eine Vorstellung davon haben, dass sie
dabei sind die Identität einer jahrhundertealten Kulturlandschaft und Ihrer
Bewohner zu zerstören.


Gerhard Vilmar für das Kranichpost-Team


3. Mai 2024 

buergerblatt@gmail.com 

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